Neufunde aus dem allemannisch-fränkischen

Zugang
Mit dem Kraftfahrzeug: Von der A 5/A 67: Ausfahrt Darmstadt-Mitte, weiter auf der B 26 Richtung Dieburg/Aschaffenburg bis zur Ausfahrt Dieburg-Ost/Michelstadt.
Von der A 3 bzw. Richtung Aschaffenburg: Ausfahrt Stockstadt auf die B 469 Richtung Wörth, dann auf die B 26 Richtung Darmstadt bis zur Ausfahrt Dieburg-Ost/Michelstadt.
Aus beiden Richtungen jetzt weiter auf der B 45 Richtung Michelstadt/Erbach bis zum ersten Abzweig nach Groß-Umstadt; nach Überquerung der Bahnlinie ist die zweite Straße rechts die Frankenstraße.
Mit der Bundesbahn: Groß-Umstadt liegt an der Bahnstrecke Hanau – Eberbach – Stuttgart.
Das Gräberfeld beginnt am Bahnhof und zieht sich entlang der Frankenstraße. Die Funde befinden sich im Museums- und Kulturzentrum Gruberhof.

Literatur
siehe Hinweis am Ende.

» Auszüge aus der Schriftenreihe „Archäologische Denkmäler in Hessen 132“ Landesamt für Denkmalpflege Hessen

Im Februar 1883 erhält Friedrich Kofler von dem Groß-Umstädter Oberamtsrichter Mittler Nachricht über „verschiedene Skelett, Messerklingen, Thon- und Glasgefäße, Bernstein- und Thonperlen, sowie Schmucksachen aus Bronze“. Erdarbeiten zu einem Keller in der Nähe des Bahnhofs hatten die Gegenstände zutage gebracht. Bereits zwölf Jahre vorher waren erste Funde beim Bau des Stationsgebäudes geborgen worden. Die nun entdeckten Bestattungen in der Kellergrube stützen die zuvor aufgestellte These eines frühmittelalterlichen Reihengräberfeldes.

Das Frühmittelalter, unterteilt in Merowinger- und Karolingerzeit (=fränkische Herrschergeschlechter), umfasst etwa die Zeit von 453 (Tod Attilas) bis 900. Während dieser Periode herrscht in weiten Teilen Mitteleuropas die Sitte, Verstorbene unverbrannt in ihrer Tracht zu bestatten. Die Männer treten voll bewaffnet den Weg in das Jenseits an, Frauengräber zeichnen sich häufig durch eine reiche Schmuckbeigabe aus: Fibeln (=Broschen), Ohrgehänge oder Nadeln sind meist aus vergoldetem Silber oder Bronze und tragen oft noch Almandine, einen roten Halbedelstein. Der Brauch, die Gräber in Reihen anzuordnen, ließ den Begriff des Reihengräberfeldes für die frühmittelalterlichen Nekropolen entstehen.
Nach dem Fall des Limes um das Jahr 260 n. Chr. Siedeln zunächst Alamannen in Südhessen und er Wetterau. Gegen Ende des 5. Jahrhunderts geraten diese in Konflikt mit den im Westen aufstrebenden Franken. In zwei Schlachten (496/7 und 506) schlägt der fränkische König Chlodwig die Alamannen und drängt sie nach Süden ab – Starkenburg gehört nun zum fränkischen Reich.

Bis 1900 konnten in der Flur „Die Beune“, heute der Bereich St. Peray-Straße / Frankenstraße, mindestens 14 Bestattungen registriert werden. 1937 hatte sich ihre Zahl bereits auf 25 erhöht und auch in der Folgezeit bezeugten Einzelfunde immer wieder die Existenz eines größeren Gräberfeldes. Fibeln, Kämme und Gürtelschnallen aus der Mitte des 5 Jahrhunderts zeigen den ursprünglich alamannischen Charakter des Bestattungsplatzes an. Als die Franken um 500 das Land in Besitz nahmen, nutzten sie das vorhandene Gräberfeld weiter. Beim Ausheben einer Baugrube auf dem Grundstück Frankenstraße 11 stießen Bauarbeiter im Mai 1993 auf menschliche Skelettreste. In Zusammenarbeit mit der Unteren Denkmalschutzbehörde des Kreises Darmstadt- Dieburg und unterstützt von der Archäologischen Arbeitsgemeinschaft des Museums- und Geschichtsvereins Groß-Umstadt e. V. leitete die Außenstelle Darmstadt der Archäologischen Denkmalpflege des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen eine Notbergung ein. Auf einer Fläche von etwa 300 m² zeichnete sich – in drei Reihen angeordnet – elf Ost-West orientierte Gräber auf dem Boden der Baugrube ab. Insgesamt dreizehn Tote ruhten in den 1,90 bis 2,50 m tiefen Grabschächten. Die anthropologische Untersuchung ergab, dass vier Frauen, fünf Männer und vier Kinder hier bestattet worden waren. Leider herrschte im Frühmittelalter der Brauch, Bestattete schon bald nach der Grablegung wieder zu berauben. Im fränkischen Bereich liegt die Zahl der so gestörten Gräber bei etwa 60%. Die häufig gezielte Anlage der Raubschächte zeigt an, dass die Räuber wussten, wessen Grab sie öffneten: Bei Frauen galt das Interesse dem Schmuck im Brustbereich, bei Männern war der Beckenbereich wegen der Waffen den zugehörigen Gürteln und Schwertgehängen das Ziel. Auch die neu entdeckten Bestattungen in der Frankenstraße machen hier leider keine Ausnahme – von den elf Gräbern sind sieben antik beraubt.

Aber auch die geplünderten Bestattungen sind nicht ohne Aussagekraft. Grab 11 beherbergte zwei Leichname; eine erwachsene Frau und einen 25 bis 30jährigen Mann. Holzspuren deuten auf Einbauten, wohl in Form einer Grabkammer, hin. Der Raubschacht richtete sich gezielt auf den Oberkörper/Beckenbereich: während dort die Skelette völlig verworfen sind, ruhen die Beine noch in ihrer ursprünglichen Lage. Zurückgelassen haben die Grabräuber neben weniger wertvollen Beigaben wie Kamm, Messer etc. nur eine bereits von anderen Gräberfeldern – trotz mangelnder Pietät beherrschte anscheinend eine gewisse Furcht vor Gegenständen mit christlicher Symbolik die Plünderer. Ein weiteres Grab – genauer gesagt: eine Doppelbestattung (Grab 13*15) – fällt unter den Neuentdeckungen besonders auf. Etwa einen Meter unter der beigabenlosen Bestattung einer etwa 60jährigen Frau lag das ungestörte Grab eines fränkischen Kriegers (Grab 15). Neben Geräten des täglichen Bedarfs wie Kamm und Klappmesser fanden sich auch die Waffen des im Alter von ungefähr 35 Jahren Verstorbenen, der mit einer Körperhöhe zwischen 174 bis 177 cm fränkische Durchschnittsgröße aufwies. Von dem hölzernen Schild blieb nur der Schildbuckel erhalten. Eiserne Nieten mit Silberplattierung dienten zu seiner Befestigung auf der Mitte des Schildes. An der rechten Seite des Toten lag das zweischneidige Langschwert, die Spatha. Zum Waffengürtel bzw. Schwertgehänge gehören zwei Riemenzungen mit den zugehörigen Schnallen. Beide hier vorgestellten Grablegen sind Doppelbestattungen, wenn auch in der Form sehr verschieden. In Grab 11 ruhen Mann und Frau auf einer Ebene nebeneinander. Ob es sich jedoch um eine Doppelbestattung handelt – das hieße, dass beide Leichname zum selben Zeitpunkt niedergelegt wurden – oder lediglich um ein Doppelgrab, lässt sich nicht mehr sagen, da die Oberkörper beider Individuen stark verworfen sind. Allerdings deutet die Größe der Grabkammer darauf hin, dass sie von vornherein für zwei Personen konzipiert worden war. Bei Grab 15 finden wir im Grabschacht, etwa einen Meter über der Kriegerbestattung, die Grablege einer älteren Frau. Hier spricht man von einer Superposition. Nach der Beerdigung der ersten Person muss einige Zeit vergangen sein, bevor das zweite Individuum (Kriegers) bestattet wurde.

Links: Grab 15 des etwa 35jährigen Kriegers. Neben der rechten Körperseite liegt das Langschwert. Der Schild, von dem nur noch der Schildbuckel erhalten ist, lehte ursprünglich wahrscheinlich außen am Sarg.Rechts: In Grab 11 waren eine Frau und ein Mann bestattet. Der Oberkörperbereich wurde durch die antike Beraubung völlig zerstört. Zwischen den Skeletten zeichnet sich die Rostspur eines ebenfalls entwendeten Hiebschwertes (Sax) ab. Ü der linken Schulter des rechten Skelettes (Pfeile) lag die Scheibenfibel.

In beiden Schemata kommen alle denkbaren Kombinationen vor, doch dominiert eindeutig – wie auch in Groß-Umstadt – die Kombination Mann/Frau, gefolgt vom Mann/Mann und Frau/Kind. Frau/Frau und Mann/Kind halten sich in etwa die Waage, sind aber wesentlich seltener.
Doppelbestattungen sind uns seit der Völkerwanderungszeit bekannt, treten jedoch erst im 7. Jahrhundert häufiger auf und ballen sich gegen Ende der Merowingerzeit (=beginnendes 8. Jahrhundert). Die genaue Ursache für diese Bestattungssitte ist unbekannt, doch dürfte es sich um Mitglieder einer Familie handeln. Hinweise auf eine Totenfolge gibt es bislang nicht.
Wie so vieles im Frühmittelalter ist auch diese Sitte nicht an ein Volk oder eine Gegend gebunden, sondern findet sich von Frankreich bis nach Thüringen bei Alamannen, Franken, Bajuwaren und Thüringern. In Hessen lassen sich Mehrfachbestattungen im Rhein-Main-Gebiet auf größeren Gräberfeldern wie Eltville, Weilbach oder Büttelborn beobachten.